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Kindeswohlgefährdung

Vor gut zwei Jahrzehnten wurde Kindern vom deutschen Gesetzgeber das Recht auf gewaltfreie Erziehung gewährt. Seitdem gelten physische und psychische Verletzungen als Kindeswohlgefährdung und Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Als Folge obliegt dem Staat die Pflicht, die körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit abhängiger Minderjähriger durch Unterstützungsangebote zu gewährleisten und im Ernstfall die Sorgeberechtigung zu entziehen. Doch wer darf wann in elterliche Erziehungsmethoden eingreifen? Wie erkennen Außenstehende eine Gefährdung, und welche Schritte sollten im Ernstfall unternommen werden?

Ein Gastkommentar von https://www.anwalt.org/.

Was bedeutet Kindeswohl? 

Der Begriff des Kindeswohls ist nicht im Detail spezifiziert, sondern im Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Teil des Familien- und Erbrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verankert. Danach wird der Schutz des Wohlergehens und der Entwicklung Minderjähriger durch die Heranziehung verschiedener Kriterien beurteilt:

  • Stabile, kontinuierliche Bindung zu den Sorgeberechtigten
  • Förderung der Entwicklung zu selbstständigen, verantwortungsbewussten Personen  
  • Verhaltensweisen in Bezug auf den Kindeswillen, altersabhängig

Rechtliche Grundlagen

In gleich mehreren Gesetzestexten wird in Deutschland auf das Kindeswohl Bezug genommen. 

  • Nach Artikel 6 Grundgesetz zählen die Pflege und Erziehung von Kindern zu den natürlichen Rechten und Pflichten der Eltern, werden jedoch durch die staatliche Gemeinschaft überwacht.
  • Gemäß § 1631 BGB dürfen keine entwürdigenden Maßnahmen wie körperliche oder seelische Bestrafungen oder Verletzungen an Kindern vorgenommen werden. Das „Recht auf gewaltfreie Erziehung“ löste erst im November 2000 den bis dahin gültigen „Züchtigungsparagrafen“ ab.
  • § 225 Strafgesetzbuch (StGB) stellt die Misshandlung Schutzbefohlener unter Strafe.
  • § 1666 BGB definiert gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls. Er umfasst ein breites Spektrum von Hilfsangeboten bis zum Entzug des Sorgerechts.
Hinweis: Ob die erziehungsberechtigten Parteien in vollem Bewusstsein oder aus Gründen der Überforderung das Kindeswohl gefährden, spielt für die Beurteilung des Tatbestands keine Rolle.

Wann ist das Kindeswohl gefährdet?

Mehr als 60.000 Kindeswohlgefährdungen und über 45.000 Inobhutnahmen wurden im Jahr 2020 in Deutschland offiziell registriert. Dabei können aktive Verhaltensweisen, aber auch Unterlassungen die seelische und körperliche Gesundheit von Minderjährigen negativ beeinflussen. 

Rein rechtlich liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, stellt das Gericht eine bestehende Gefahr oder den wahrscheinlichen Eintritt eines unverhältnismäßigen Risikos der geistigen und leiblichen Weiterentwicklung des betroffenen Kindes fest.

Hinweis: In Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren dienen die gesetzlich verankerten Bewertungskriterien als wichtige Beurteilungsmerkmale für die richterliche Entscheidung.

In welchen Formen tritt die Kindeswohlgefährdung zutage?

Die Palette der möglichen Handlungen, die einer gewalt- und sorgenfreien Entwicklung und Entfaltung von Kindern und Jugendlichen entgegenstehen, ist umfangreich. Aus diesem Grund wird eine offiziell anerkannte Einteilung in verschiedene Oberkategorien vorgenommen. Zu ihnen zählen

  1. Vernachlässigung: Unzureichende Nahrungszuführung, emotionale Zuwendung oder medizinische Versorgung, altersgerechte Aufsicht und Betreuung
  2. Seelische Misshandlung: von der Androhung von Gewalt über verbale Erniedrigungen bis zu einer überproportionalen Behütung
  3. Häusliche Gewalt: Miterleben drastischer Auseinandersetzungen zwischen Eltern
  4. Körperliche Gewaltausübung: vom Schütteln von Kleinkindern bis zu sexueller Gewalt
Hinweis: Sexueller Missbrauch steht gesondert in den §§ 176 ff. StGB unter Strafe.

Woran erkennen Dritte eine Kindeswohlgefährdung?

Kinder reagieren individuell verschieden auf körperliche, seelische oder geistige Misshandlungen. Insofern gelten die folgenden möglichen Anzeichen ausschließlich als Anhaltspunkte. Unter anderem zeigen betroffene Kinder die folgenden Verhaltensweisen:

  • Essstörungen
  • Müdigkeit
  • Konzentrationsschwäche
  • Aggressivität
  • Verzögerung der körperlichen Entwicklung
  • Vermeide von Blickkontakt
  • Fernbleiben vom Schulunterricht
  • Verbreiten von Unwahrheiten

Wie sollten sich Dritte bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung verhalten?

Bei Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung besteht für Unbeteiligte zunächst keine gesetzliche Meldepflicht. Eine Ausnahme gilt für Lehrer und Erzieher, Ärzte und Hebammen oder bei schwerwiegenden Fällen, bei denen eine unterlassene Anzeige schwerste Folgen für die Minderjährigen nach sich ziehen kann.

Wer seine Bedenken mitteilen möchte, kann sich an das Jugendamt, Kinderschutzzentren oder Familien­beratungsstellen wenden. Die erfahrenen Experten untersuchen den Verdacht, wird er erhärtet, erörtern sie verschiedene Hilfsmöglichkeiten.

Hinweis: Zum Kindeswohl sollte auch in Zweifelsfällen der Kontakt mit einer der zuständigen Behörden aufgenommen werden.

Welche Schritte unternimmt das Jugendamt bei einer Kindeswohlgefährdung?

Zunächst überprüft das Jugendamt die Anhaltspunkte einer möglichen Kindeswohlgefährdung. Bei einem begründeten Verdacht muss es gemäß § 8a des Achten Buchs Sozialgesetzbuch „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ aktiv werden. Dabei gilt stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie der mildesten Form eines Eingriffs in die elterliche Erziehung. Zu Beginn wird immer der Kontakt zur Familie aufgenommen.  

  • Bei vermeintlichen Kindeswohlgefährdungen folgen Beratungs- und Unterstützungsangebote
  • In akuten Fällen können Arztbesuche oder vorübergehende Unterbringungen außerhalb der elterlichen Wohnung auch gegen den Willen der Eltern angeordnet werden.
Hinweis: Das Jugendamt darf nicht ohne Anhörung vor dem Familiengericht das elterliche Sorgerecht einschränken oder entziehen. Diese Maßnahmen gelten ebenso wie eine daraus resultierende langfristige Inobhutnahme des Kindes als letzter Ausweg.

Weitere Infos zum Thema finden Sie im kostenfreien Ratgeber unter https://www.anwalt.org/kindeswohlgefaehrdung/

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